Eine Betrachtung, Gewissenserforschung, Kritik und Anklage,
die er sicher erst nach längerer Zeit so schreiben und ausfeilen konnte:
Gewohnheitschristen (1940)
Gläubige Zuhörer!
Der berühmte Beherrscher des indisch-mongolischen Reiches, Aureng Zeb, ließ eines Tages alle Derwische des Landes an seinen Hof nach Delhi kommen. Nach altem Brauch ließ er dabei jedem seiner Gäste ein Ehrenkleid reichen. Aber die Derwische äußerten wenig Freude über das Geschenk; man musste sie vielfach zwingen, ihre schmutzigen, zerlumpten Mäntel abzulegen und die neuen Kaftane anzuziehen. Sie trugen nämlich Geldstücke in ihren alten Kleidern eingenäht. Darum war ihnen das Lumpengewand so lieb, dass sie das Ehrenkleid verschmähten.
Ähnlich ergeht es manchen Christen. Sie sind zum Mahle des Herrn geladen. Ja sie sitzen schon an der Festtafel. Aber da ihnen nun gesagt wird: „Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“, da weigern sie sich. Denn um das Hochzeitskleid anzulegen, müssten sie zuerst den „alten Menschen“ ausziehen, sie müssten all ihre Weltwünsche und erdhafte Leidenschaft, sie müssten das Kleid der Gewohnheit ausziehen.
Heute wollen wir sehen, wie so ein Gewohnheitskleid ausschaut und jeder kann dann prüfen, ob er vielleicht schon fest in einem solchen drinnen steckt oder ob er es noch nicht ganz angezogen hat. Wer fest im Gewohnheitsgewand steckt ist in Gefahr, ein lauer Mensch zu werden, der von Gott ausgespien wird, dem das fürchterliche Endurteil droht: Werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis, dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.
Die Gewohnheitschristen gehen in die Kirche nicht so sehr, weil sie das Bedürfnis haben, die Gebote Gottes und der Kirche zu erfüllen, weil sie die Notwendigkeit der Gnade und die Hilfsbedürftigkeit für ihre Seele spüren, sondern weil sie es so gewohnt sind in die Kirche zu gehen. Warum sie in die Kirche gehen, darüber geben sie sich keine Rechenschaft. Sie sind es halt gewohnt. Ebenso sind sie auch beim heiligen Opfer ganz geistesabwesend, teilnahmslos. Mit den Gedanken sind sie daheim, im Stall, auf dem Wald, auf der Jagd und weiß Gott wo überall, ja nicht wo sie sein sollten. Schaut euch diese Leute nur an, sie zeigen es auch nach außen, besonders jene, die sich über die Chorstiege hinauf verstecken.
Der Gewohnheitschrist erfüllt ziemlich regelmäßig seine Pflicht. Verrichtet jeden Morgen auf den Knien sein Morgengebet, geht zu den Sakramenten; aber in all seinen Verrichtungen ist solches rilassamento und solche Gleichgültigkeit (indifferenza), so wenig Vorbereitung, so wenig Änderung in seiner Lebensweise, sodass man ganz genau sieht, dass er seine Pflicht nur aus Gewohnheit verrichtet. Seine Beichte und Kommunion sind nicht sakrilegisch; aber es sind Beichte und Kommunion ohne jede Frucht; anstatt dass er vollkommener wird, geht er immer einen Schritt nach rückwärts, dem Höllentor näher.
Was die Gebete anbetrifft, weiß Gott, wie sie gemacht sind; in der Früh beschäftigt er sich sehr wenig mit Gott, noch kümmert er sich um das Heil seiner armen Seele. Er denkt nur an das Arbeiten; er denkt, wie er den ganzen Tag arbeiten wird, wohin er seine Kinder oder Dienstboten schicken wird; um das Gebet zu verrichten, kniet er wohl nieder, aber er weiß nicht, um was er den Herrgott bitten soll, was er notwendig hat, ja er weiß nicht einmal vor wem er kniet. Man braucht ihn nur anzuschauen und sein Betragen sagt es uns. Er ist ein Armer und obwohl sehr arm, will er nichts, der Arme.
Er ist wie ein Kranker, der Medizin und Arzt verschmäht, obwohl es um ihn schlecht steht; und wegen einer geringen Sache unterbricht er die Gebete und tröstet sich, ich bete ein andermal und da besser; er will das ganze Tagwerk Gott aufopfern; er tut dies alles, aber oft tut er es, ohne daran zu denken; oft kann man auch sehen, wie ein Bub oder ein Mann den Hut auf dem Finger tanzen macht, oder mit der Feder oder dem Bart spielt, als ob er schauen möchte, ob er wohl ganz ist.
Weiberleute verrichten das Gebet, während sie das Brot in die Suppe schneiden oder schüren, oder Kinder und Hausleute ausschimpfen. Die Zerstreuungen beim Gebet sind nicht freiwillig, man wünscht sie nicht zu sehen, aber weil man sich ein bisschen bemühen muss, sie fortzujagen, deshalb lässt man sie kommen und gehen, wie sie wollen.
„Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz ist aber weit entfernt.“
Die Gewohnheitschristen gehen auch oft beichten. Es ist nicht das Heil der Seele oder ein zartes Gewissen, das nicht zur Ruhe kommt, bevor es sich nicht ausgebeichtet hat. Sie gehen einfach. Und dass es nur aus Gewohnheit ist, sieht man daraus, dass keiner Begehren zum Besseren hat; so ein Gewohnheitschrist wird nicht gerade schwere Sünden begehen, aber eine kleine Ehrabschneidung, Verleumdung, eine Lüge, ein Gefühl des Hasses, der Abneigung, der Eifersucht, das kostet ihn nicht viel.
So ein Gewohnheitschrist empfängt auch die heilige Kommunion. Aber er sperrt seinen Gott in einen finsteren Kerker ein; hat er ihn in seiner Seele, dann lässt er ihn allein; denkt nicht mehr an andere; und seine Lebensweise beweist, dass sie nicht gekannt haben die Größe des Glücks. In der Früh haben sie die Gewohnheit, sich an die Kommunionbank zu knien, dann kaum aus der Kirche, dann spielt sie die Richterin.
Interessant oder sagen wir ärgerlich ist es auch, solche Gewohnheitschristen beten hören, daheim oder in der Kirche. Da kann man oft sinnlose, gedankenlose, würdelose Gebete hören. Wenn einmal die Gebetsmaschine angetrieben ist, in Gang ist, dann hat sie voll freien Lauf. Da wird nicht mehr darauf geachtet auf schönes, langsames, verständliches Beten. Ohne jede Rücksicht auf andere werden die Gebete heruntergeleiert. –
Ich habe einmal bei einer Familie übernachtet. Nach dem Abendrosenkranz wurden dann noch verschiedene Gebete eingenommen. Aber diese Gebete wurden mit einer solchen Schnelligkeit und Gedankenlosigkeit gebetet, dass ich nicht einmal den Sinn der Gebete herausbrachte. Nach dem Rosenkranz fragte ich einen Bub, er möge mir das gewiss schöne Gebet noch einmal sagen. Aber was er nicht alles daher sagte. Die Mutter, die daneben stand, sagte mit etwas Verlegenheit: Wir beten immer so, wir sind es so gewohnt. Aber um Himmels willen. Da gelten wohl die Worte des Heilands: „Dieses Volk ehrt mich nur mit den Lippen, ihr Herz ist weit entfernt von mir.“
So wird nicht nur das Gebet, sondern das ganze christliche Leben wie eine Maschine getrieben, ohne jedes Verständnis und edler Beweggründe. Die treibende Kraft ist die Gewohnheit, nicht die Liebe und das Heil der Seele. Die Maschine weiß nicht, wozu sie und warum sie arbeitet. So wissen auch viele Christen nicht, warum sie beten und [in die] Kirche gehen.
Gläubige Zuhörer! Es ist gewiss nicht arg gefehlt, wenn jemand solche und ähnliche kleine Gewohnheiten hat. Aber will er nicht zugrunde gehen, so ist es notwendig, das liebgewonnene Kleid der Gewohnheit abzulegen und anstatt des zerlumpten Kleids mit eingenähtem Geldstück ein schöneres, herrlicheres Gewand anzuziehen. Der Heilige Geist sagt: „Wer das Kleine verachtet, geht allmählich zugrunde.“ Sir 16.
Im Jahre 1721 wurde in Frankreich ein gefürchteter Räuber und Mörder zum Tode verurteilt. In der Schule hatte er Federn und dem Nachbarn öfter kleine Dinge gestohlen. Außerdem recht gern Tiere gequält. Vor seiner Hinrichtung sagte er: „Ich würde gewiss nicht so weit gekommen sein, Leute zu berauben, Menschen zu töten, wenn ich mich nicht von klein auf daran gewöhnt hätte. Meine Mutter“, fügte er noch hinzu, „hätte das nicht dulden sollen.“
Ja, wer das Kleine verachtet, geht allmählich zugrunde. Viele schließen Friede mit den Fehlern und gerade das ist die Ursache ihres Verderbens und vieler anderer. Sie machen sich nichts daraus, ja es passt ihnen sogar dieser oder jener Fehler.
Ludwig de Ponte sagt: „Ich habe in meinem Leben viele Fehler begangen, indes habe ich niemals Friede mit denselben geschlossen. Dass jemand Sünden begeht und Fehler hat, das gehört zum Menschsein, aber nicht Freundschaft mit ihnen schließen, nicht ein Gewand der Gewohnheit sich daraus machen.
Man staunt, wenn man hört, dass eine Person, die allgemein als fromm angesehen wurde, plötzlich in schwere Sünde fällt. Aber nicht auf einmal wird ein frommer Mensch lasterhaft, mit den kleinsten Sünden fangen jene an, die später in die größten Sünden fallen. „Der Teufel freut sich“ sagt die heilige Theresia, „wenn ihm die Tür des Herzens nur ein klein wenig geöffnet wird, er steckt gleich den Schwanz hinein und sorgt, dass der Spalt immer größer wird und die Tür schließlich ganz geöffnet wird.“
Gregor der Große sagt: Wenn jemand schon vor kleinen Sünden nicht mehr zurückschreckt, der fürchtet sich nicht mehr, in eine große Sünde zu fallen.
Ein solches Gewohnheitschristentum ist sehr gefährlich, weil es zur Lauheit führt. O wie bedauernswert ist ein lauer Christ. Ein solcher ist weder warm noch kalt. Er ist eben lau. Wie schaut denn der Seelenzustand eines lauen Christen aus? Um das besser zu verstehen, will ich ganz kurz einen rechtschaffenen Christen schildern. Ein guter Christ ist nicht zufrieden die göttliche Wahrheit bloß zu glauben, sondern er liebt sie, er betrachtet, er sucht jede Gelegenheit um sie zu lernen, er hat Freude im Hören des Wortes Gottes. Er sucht alles zu vermeiden, was Gott verbietet, und sucht zu tun, was er befiehlt. Er glaubt nicht bloß, dass ihn der Herrgott überall sieht, sondern er weiß auch, dass er all sein Tun und Handeln einmal richten wird; und er zittert manchmal, wenn er daran denkt, dass er einmal über sein ganzes Leben Rechenschaft geben muss; er sucht daher auch jeden Tag einen Schritt vorwärts zu machen auf dem Tugendweg; er misstraut seinen Kräften; der gute Christ ist aber einer, der zuunterst einer Stiege steht und weiß, dass er hinaufkommen muss. Er sieht, um hinaufzukommen braucht er Anstrengung. Und so wächst er von Tag zu Tag in der Tugend und kommt näher der Himmelstür.
Was hingegen tut der laue Christ in seiner Lauheit; so ein lauer Christ glaubt wohl noch an die ewige Wahrheit; er glaubt wohl an die Gegenwart Gottes, aber deshalb ist er nicht besser oder schlechter. Er fällt in die Sünde hinein so leicht als ob es keinen Gott gebe; und er bemüht sich wenig von seinen Sünden loszuwerden. Er weiß, dass er im Bußsakrament losgesprochen werden kann; aber immer die gleiche Nachlässigkeit, dieselbe Lauheit im religiösen Leben; die Beichte und Kommunion sind äußerst selten; wenn der große Haufen geht, dann lässt er sich mitziehen; aber nicht aus dem Bedürfnis seiner armen Seele. Über religiöse Dinge zu sprechen hat er kein Interesse; diesen steht er ganz gleichgültig gegenüber. Nichts bewegt ihn; er hört wohl die Predigt, Gottes Wort: aber oft langweilt es ihn; er hört nur schwerlich zu, aus Gewohnheit wird ein bisschen länger gebetet, dann empfindet er einen förmlichen Ekel; ja der Laue lebt noch, aber für den Himmel ist er zu nichts fähig; seine Seele ist wie abgestandenes Wasser, das stinkt. Der Laue ist sittlich faul; der Laue sagt ich will nicht heilig werden; ich will nicht die Kirchen abrennen, wie andere das tun. Mir genügt es, wenn ich es mit dem lieben Herrgott ausmache und gerade in den Himmel hineinschlüpfe. Das ist mir genug.
Da sagt der heilige Augustin, wenn du dich darauf verlässt, es sei genug, dann wirst du wahrscheinlich ewig verloren gehen; eine laue Seele verliert nicht ganz das Vertrauen auf Gott; sie traut sich aber selber viel zu viel zu; sie setzt sich Gefahren aus und glaubt doch nicht zu fallen; wenn er fällt, dann bekommt der Nächste die Schuld. Die laue Seele ist in den Augen verachtet; der Herrgott selbst sagt: Wärst du doch kalt oder warm; aber weil du weder kalt noch warm bist, sondern lau, deshalb will ich nun anfangen, dich aus meinem Mund auszuspeien: Damit will der Herr sagen: Ein lauer Christ braucht Kraft.
Ein lauer Christ ist viel schlechter dran als ein Todsünder. Der Todsünder bereut doch seine Sünden. Der Laue aber denkt gar nicht daran, seine Seele zu retten, weil er sich ja für den besten Christen rechnet. Ein lauer Christ hat einen schwachen Glauben, schwaches Vertrauen und die Liebe ist beinahe erkaltet. Den Beweis liefert er durch sein Verhalten dem Nächsten gegenüber. Ihr Gewissen schläfern sie ein. Keine Gewissensbisse. Ich bin der vollkommene Christ; ich bin ja nicht wie jener Zöllner dort drunten bei der Tür. O in welch elendem Zustand befindet sich der Laue. Leichter bekehrt sich ein großer Sünder als ein lauer Christ. Der Laue stellt sich öfter an den Rand der Hölle und betrachtet und hört die Verdammten in der Hölle.
Geliebte! Ihr habt nun gesehen, was ein Gewohnheitschristentum ist, welchen Wert es hat und wohin es führt, wenn man nicht frühzeitig genug sich bemüht, dieses Gewohnheitskleid abzulegen. Denkt nun einmal nach und vielleicht findet der eine oder andere einige Ähnlichkeit damit. Und wenn euch das Gewissen anklagt, ja nicht die gute Gewohnheit und Bräuche aufgeben, wie das fleißige Kirchgehen, den öfteren Empfang der Sakramente, das Gebet und viele andere fromme Übungen. Nein, eine wahre Freude ist euch so fleißig bei den Sakramenten zu sehen, ein öffentliches Zeugnis geben, das vielleicht anderen Gemeinden ein Vorwurf sein muss für ihr nachlässiges Tun, ein öffentliches Zeugnis ist es, wie viel Glaube, wie viel Religion in eurem Herzen drinnen ist; haltet fest an dieser guten löblichen Gewohnheit, aber Kampf der Gedankenlosigkeit und Unachtsamkeit bei den religiösen Übungen. Werdet euch bewusst, warum ihr in die Kirche geht, warum ihr betet, warum ihr zu den Sakramenten geht. Gebt allen Handlungen einen christlichen Inhalt!
Wenn über so einen Gewohnheitschristen ein Leid kommt oder wenn es nicht geradeaus geht, dann ängstigen sie sich, weinen und klagen, ja geben sich einer gewissen Verzweiflung hin. Es scheint, dass sie es nicht anerkennen wollen, dass der Herr ihnen dies zu ihrem Heil schickt. Was habe ich getan, dass ich mir das alles verdient habe? Viele andere, die mehr verbrochen haben als ich, haben das nicht zu leiden.